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  • Johannes Rauch

Das Ende der Melasse

Ein Blick auf die Global Right to Information Rating Map genügt, und du willst dich als demokratiebewusster Staatsbürger vor Scham am liebsten unter der Bettdecke verkriechen. Hinsichtlich seines Zugangs zu öffentlichen Informationen teilt sich Österreich den letzten – tatsächlich den allerletzten! – Platz mit der Republik Palau, einem pazifischen Inselstaat mit rund 19.000 Einwohner:innen, der bis 1994 unter US-amerikanischer Verwaltung stand. Wir befinden uns in der Gesellschaft von Weißrussland und Tadschikistan, und selbst die notorisch intransparenten Steueroasen Liechtenstein und Monaco schneiden bei diesem Ranking, das nicht weniger als 61 Indikatoren in sieben Kategorien zusammenfasst, besser ab. Da ist es nicht einmal ein schwacher Trost, dass auch Deutschland unter den zehn letztplatzierten Ländern dieses Rankings aufscheint.[1]


Kann nicht sein, denken Sie? Unmöglich, wollen Sie ausrufen? Das ging mir auch so. Doch tatsächlich gibt kein anderer EU-Mitgliedstaat seinen Bürger:innen so wenige Möglichkeiten zum Einblick in amtliche Dokumente wie Österreich. Nirgendwo sonst in Europa genießen Amtsgeheimnis und Amtsverschwiegenheit verfassungsrechtliche Absicherung.


Das ist nicht nur ein gesetzliches, das ist ein kulturelles Problem. In einem Klima, das ohnehin schon von fehlendem Vertrauen gegenüber staatlichen Autoritäten geprägt ist, führen Intransparenz und Zögerlichkeit bei der Bereitstellung von Informationen zu Abneigung, Abwendung, Zynismus und zu der Auffassung, dass die Demokratie ausgehöhlt werde und der Zugang zu Informationen ein Privileg einiger weniger Profiteur:innen und kein bürgerliches Grundrecht sei. Und aus dieser distanzierten Position verstärkt sich das Misstrauen gegenüber den demokratischen Institutionen, was wiederum für mehr Distanz und dies wiederum für mehr Misstrauen sorgt. Die klassische Konstruktion einer Abwärtsspirale.


Von den Auswüchsen dieser Kultur lesen wir täglich in den Medien. Wir erleben eine geradezu unglaubliche Häufung an Korruptionsfällen: Nationalratspräsidenten führen Interventionslisten, weil sie sonst den Überblick verlieren würden, welcher Günstling nun mit welchem Posten versorgt werden soll. Spitzenpolitiker kaufen sich Berichterstattung in Tageszeitungen, indem sie dort Inserate schalten und gefälschte Umfragen veröffentlichen lassen. Parteien überschreiten sorglos die gesetzlichen Rahmen der Wahlkampfkosten, weil die Sanktionen im Vergleich zu den zu erwartenden zusätzlichen Einnahmen lächerlich sind. Dieselben Parteien können sich diese Wahlkampf-Materialschlachten nur leisten, weil sie Spenden erhalten, die zu einem großen Teil nicht als solche deklariert werden. Dafür sorgen überteuerte Anzeigen, die spendierfreudige Unternehmen in parteinahen Zeitschriften abdrucken lassen. Die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse wissen schon gar nicht mehr, mit welcher der vielen Materien sie sich zuerst beschäftigen sollen, und werden von den Verwaltungen häufig in ihrer Arbeit behindert, indem entweder zu wenige, zu viele oder überwiegend geschwärzte Unterlagen geliefert werden.


Wen wundert es angesichts dieser innenpolitischen Melasse, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Entscheidungsträger:innen dieses Landes auf einen noch nie dagewesenen Tiefstand gesunken ist!?


Badagnani – Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4129522


Ein Informationsfreiheitsgesetz steht ja nicht erst seit gestern auf der Agenda der Grünen, sondern ist seit vielen Jahren fester Bestandteil jedes Grünen Wahlprogramms. Das Koalitionsübereinkommen sieht ab Seite 18 Maßnahmen zur Informationsfreiheit vor, darunter die Abschaffung des Amtsgeheimnisses und der Amtsverschwiegenheit, die Pflicht zur aktiven Informationsveröffentlichung, das Recht auf den gebührenfreien Zugang zu Informationen oder das einklagbare Recht auf Informationsfreiheit. Die Regierungsparteien haben vor knapp einem Jahr, am 22. Februar 2021, einen Ministerialentwurf präsentiert, der auf diese und einige andere Punkte Rücksicht nimmt und zu dem nicht weniger als 189 Stellungnahmen eingelangt sind. Am 19. April 2021 endete die Frist für Stellungnahmen, seither ist zumindest auf der Ebene des Gesetzwerdungsprozesses nichts passiert. Die zuständige Verfassungsministerin Karoline Edtstadler hinterlässt einen resignierten Eindruck, wenn sie im Ö1-Journal um 8 am 15. Februar ausrichten lässt, die Überarbeitung des Ministerialentwurfs „mache keinen Sinn, weil zwar alle die Informationsfreiheit befürworten würden, nur nicht im eigenen Bereich“.


Besonders Länder und Gemeinden stehen in Sachen Informationsfreiheit mit allen Gliedmaßen auf der Bremse, kommt mir vor. Warum, bleibt rätselhaft: Denn alle demokratischen Kontrollinstrumente bleiben stumpf, wenn sie nicht vom Recht auf Akteneinsicht, von der Pflicht zur Offenlegung von Verträgen und Auftragsvergaben begleitet werden. Ich unterstelle gar nicht, dass in solchen sumpfigen Biotopen die Korruption blüht, aber dass der entsprechende Anfangsverdacht entsteht, erscheint mir nachvollziehbar. Einige Beispiele:

+ Die Protokolle der Grundverkehrskommissionen sind nicht öffentlich. Es bleibt geheim, wer welche Grundstücke zu welchem Preis kauft und wer wie viel Bauland hortet.

+ Unzählige von der öffentlichen Hand beauftragte Gutachten sowie Stellungnahmen und Verträge bleiben in verschlossenen Schubladen liegen.

+ Österreich besitzt kein generelles Akteneinsichtsrecht und kein wirkungsvolles Lobbying-Register.

+ Trotz der österreichischen Transparenzdatenbank bleibt das Förderwesen im Lande undurchsichtig und unübersichtlich.

+ Die Reihungslisten für Bewerber:innen auf Ämter in der Verwaltung oder in Unternehmen, die der Rechnungshofkontrolle unterliegen, bleiben geheim.


In Schweden haben es Korruption und Mauschelei ungleich schwerer als in Österreich, und zwar nicht deshalb, weil dort die moralisch gefestigteren Menschen leben, sondern weil sich dort, gestützt durch eine Reihe höchstgerichtlicher Urteile, über Jahrzehnte hinweg eine Kultur der Transparenz etabliert hat. Hierzulande gilt: Geheimhaltung ist die Regel, Offenlegung die Ausnahme. Dieses Prinzip müssen wir auf den Kopf stellen, wenn wir uns als Demokratie ernst nehmen.

Zugleich muss uns klar sein, dass wir das geschwundene Vertrauen nicht mit Bemühungen um Transparenz zurückgewinnen können. Vertrauen und Transparenz sind, wie der deutsch-koreanische Philosoph Byung-Chul Han vor nicht allzu langer Zeit beobachtet hat, Gegensatzpaare. Transparenz ist dort nötig, wo kein Vertrauen existiert, aber sie befestigt das Misstrauen. Denn würde ich vertrauen, brauchte es keine Transparenz. Ich behaupte, Vertrauen ist die volatilste Währung, die der Mensch kennt. Unglaublich schwer anzuhäufen und extrem leicht zu verlieren. Der Wiederaufbau von Vertrauen führt aber nicht über die Transparenz, so wichtig Informationsfreiheits- und Transparenzgesetze sein mögen. Vertrauen lässt sich, davon bin ich überzeugt, nur dann wiederherstellen, wenn Ankündigung und Tat, wenn Intention und Umsetzung in einem kongruenten Verhältnis stehen – wenn also wir Politikerinnen und Politiker Handlungen setzen, die unseren Haltungen und Absichten entsprechen, und das über einen längeren Zeitraum hinweg. Das klingt banal, ist aber gerade in unsicheren Zeiten mit wechselnden Mehrheiten unendlich schwierig, aber nichtsdestoweniger notwendig.


Wenigstens lässt sich auf der Ebene der Parteienförderung und Parteienfinanzierung Bewegung beobachten. Die Klubobleute von Vorarlberger ÖVP und Vorarlberger Grünen, Roland Frühstück und Daniel Zadra, sorgten Ende letzter Woche für österreichweites Aufsehen, weil sie eine grundlegende Neuregelung der Parteienförderung in Vorarlberg präsentierten, die darauf hinausläuft, dass alle Inserate, Spenden und Subventionen künftig lückenlos veröffentlicht und dass die Wahlkämpfe kürzer und billiger werden müssen. Die Details dieses Vorschlags werden in den nächsten Tagen mit der Opposition finalisiert. Möge dieses Paket Vorbildwirkung entfachen und Wind in die Segel der Verhandlungen auf Bundesebene blasen!


[1] Wobei mir klar ist, dass Listen dieser Art stets ein Unsicherheitsfaktor anhaftet, was ihre Methodik betrifft, und daher lediglich cum grano salis zu genießen sind.

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