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Das politische Mandat der Sozialen Arbeit

  • johannesrauch8
  • 28. Apr.
  • 11 Min. Lesezeit

 „Soziale Arbeit muss immer politisch,

politische Arbeit immer sozial sein!“ –

Aber was heißt das in Zeiten wie diesen?

 



 

Lassen Sie mich beginnen mit zwei konkreten Begegnungen, die ich in den letzten Monaten hatte:

Beim Einkaufen in Vorarlberg kommt im Baumarkt ein Mann auf mich zugestürmt, begrüßt mich überschwänglich mit den Worten „kennscht mi numma?“ – meine Antwort war: „na“

Er weiter: „Ich war bei dir im Arbeitsprojekt für Langzeitarbeitslose. Du hast mich damals mehr oder weniger dazu gezwungen, hast mich in der ersten Woche jeden Tag um 6 in der Früh von zuhause abgeholt, damit ich aufstehe und zur Arbeit gehe. Ich habe es gehasst und dich auch. Irgendwie habe ich es dann durchgezogen und nach 8 Monaten einen Job in einer Firma gefunden, den ihr mir vermittelt habt. Ich kann dir sagen: Ich arbeite noch heute dort und bin dir so unendlich dankbar, das war meine Rückkehr ins Leben nach 3 Jahren Arbeitslosigkeit, Krankheit und Schulden!“

Soziale Arbeit, die wirkt.

 

Zweites Beispiel:

Im vergangenen Herbst traf ich – damals noch als Sozialminister -  in Graz Frau K., die im Rahmen des Projektes housing first österreich zu einer Wohnung gekommen ist. Sie hat mir geschildert, wie ihr Leben in einer Gewaltbeziehung davor ausgeschaut hat und wie froh sie ist, nun eine fixe Bleibe für sich und Ihre Kinder zu haben. Hier kann sie ihr Leben neu ordnen, begleitet und unterstützt von einem Projekt, das vom Sozialministerium finanziert wird. Wohnen ist Beheimatung. Das ist das Wichtigste, weil – in diesem Sinne – seiner Heimat beraubt zu werden, das Schlimmste ist, das einem passieren kann.

Politische Arbeit, die wirkt.

 

Die schwierigste Aufgabe heute für mich, das ist mir erst bei der Vorbereitung gedämmert, besteht allerdings darin, die Frage, die im Titel der Veranstaltung hintangestellt ist zu beantworten: Was heißt das in Zeiten wie diesen?

Das erfordert nämlich zuallererst einen Blick darauf, was es denn für Zeiten sind, in denen wir gerade Leben. Schwierig!

Wie eine Welt beschreiben, deren Wahrnehmung mehr denn je davon bestimmt ist, welche Algorithmen uns im Minutentakt den vermeintlich letzten heißen Scheiß in unsere timelines spülen? Wie eine Welt beschreiben, die zeitgleich von zunehmender Komplexität und als hilflose Antwort darauf von immer brachialer werdender Vereinfachung und Trivialisierung geprägt ist?

Ein paar Schlaglichter mögen genügen:

-             Im Windschatten des Ukraine-Krieges will die EU die eigene Aufrüstung um 800 Mrd erhöhen, seit den frühen 1990er Jahren haben sich die weltweiten Rüstungsausgaben nahezu verdoppelt auf 2.500 Milliarden USD

 

-             Donald Trump und seine willfährigen Helfer sind gerade dabei, die demokratischen Vereinigten Staaten von Amerika in eine Autokratie umzubauen und die Weltwirtschaft nachhaltig zu schädigen oder anders gesagt: vom Primat der Politik zum Primat des Turbokapitalismus zum Primat des Aberwitzes.

-             Parlamentarische Demokratien, gebaut auf den Werten der Aufklärung, dem Prinzip der Gewaltenteilung und freier und geheimer Wahlen werden zunehmend ausgehöhlt

-             Wissenschaftsfeindlichkeit und Verschwörungstheorien feiern fröhliche Urständ

-             Das Aufstiegsversprechen, welches das Nachkriegseuropa geprägt hat ist von einer kollektiven Abstiegsangst abgelöst worden

-             Laut der Oxfam-Studie "Takers not Makers" gibt es weltweit derzeit 2.769 Milliardärinnen und Milliardäre. Ihr Gesamtvermögen sei 2024 dreimal schneller gewachsen als im Jahr zuvor. Bei den reichsten zehn Milliardären sei das Vermögen im Durchschnitt um 100 Millionen US-Dollar pro Tag gewachsen. Die Zahl der Menschen, die unter der erweiterten Armutsgrenze der Weltbank von 6,85 US-Dollar pro Tag leben, stagniert dagegen seit 1990 und beträgt laut Oxfam fast 3,6 Milliarden.

-             Mentale Gesundheit verschlechtert sich, insbesondere bei jungen Menschen

-             Und letzter Punkt, Demografie: In Europa werden demnächst 30% der Bevölkerung 65 Jahre und älter sein, in Afrika sind fast zwei Drittel der Bevölkerung jünger als 25 Jahre.

-              

„Die Politik“ – die es genauswenig gibt wie „die Wirtschaft“ – hechelt dem allem hinterher und dann komme ich und sage: soziale Arbeit muss poltisch sein. Warum?

 

 

Warum muss soziale Arbeit politisch sein?

 

Ich versuche das zunächst einmal herzuleiten entlang der gerade sehr aktuellen Frage gekürzter Budgets. Die Kürzung von Budgets beispielsweise im Gesundheits- und Sozialbereich ist immer ein politischer Akt, der von Mehrheiten in Parlamenten beschlossen werden muss oder, in weniger demokratischen Systemen, per Dekret verordnet wird. Es ist kein Zufall, dass in Österreich in den Bundesländern Niederösterreich und Oberösterreich, also genau dort, wo die FPÖ seit längerem mitregiert, der Vollzug der Sozialhilfe und die Vergabe von Wohnungen am rigidesten gehandhabt wird.

Beispiel 1:

Die Bundesländer haben Spielraum bei der Anrechnung von Wohnkosten bei der Sozialhilfe.

So erhält ein Paar in Niederösterreich (Einkommen 500 Euro, Mietkosten 980 Euro) um über 300 Euro pro Monat weniger Sozialhilfe als ein Paar in der Steiermark mit gleich hohen Mietkosten.

Beispiel 2:

Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern (3 und 19 Jahre) erhält in Wien, Vorarlberg oder Salzburg [1] einen Zuschlag von rund 140 Euro pro Monat für ihr minderjähriges Kind. Oberösterreich und Niederösterreich streichen ihr diesen Kinderzuschlag, weil ein volljähriges Kind im Haushalt lebt. Ihr entgehen daher 140 Euro im Monat bzw. 1.680 Euro pro Jahr!

Die Aufkündigung der 15a-Vereinbarung und damit eines österreichweit einheitlichen Vollzugs der Mindestsicherung und die Rückkehr zum Fleckerlteppich der Sozialhilfe war ein bewusster politscher Akt der damaligen schwarz-blauen Regierung.

Wenig überraschend bin ich der Überzeugung, das in nahezu allen Feldern der sozialen Arbeit nicht nur das Individuum und seine Bedürftigkeit im Fokus stehen müssen, sondern immer auch den strukturellen Ursachen dafür auf den Grund zu gehen ist. Ein erster Grund, warum soziale Arbeit immer auch politisch ist und sein muss.

 

 

Warum muss politische Arbeit sozial sein?

 

Die politische Debatte in Europa dreht sich aktuell um die Bewältigung von Rezession, Inflation, mehr Rüstungsausgaben und damit wesentlich ums Geld. In aller Verkürzung ein paar Aspekte:

1.   Der Druck auf die Haushalte, also die Budgets – europäisch, national wie regional – wird zunehmen. Die Kosten der Bewältigung von COVID, der Energiekrise, die Bekämpfung der Inflation und höhere Zinsen für Schuldendienste und Kapitalbeschaffung sind einige Gründe dafür.

2.   Daher werden die so genannten Fiskalregeln zum „battleground“ für alle Mitgliedsstaaten, entlang der Frage „sparen oder investieren“; wobei „sparen“ fast immer gleichbedeutend ist mit „kürzen“ – und hier fast immer in den Bereichen Soziales und Gesundheit.

3.   Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsausgaben sind Investitionen. Immer, wenn Straßen, Brücken, Häuser, Kraftwerke gebaut werden, wird von „Investitionen“ gesprochen, geht es um Bildung, Gesundheit, Soziales oder Pflege immer nur von „Kosten“. Das ist falsch, dieses Mindset muss verändert werden!

4.   Wer keine oder weniger Investitionen in Bildung, Soziales, Gesundheit, Pflege tätigt, spart sich kurzfristig Geld, generiert aber in wenigen Jahren dramatische Mehrausgaben durch Qualitätsmängel und Unterversorgung, Armut. Das ist sowohl ökonomisch wie volkswirtschaftlich belegbar.

5.   Finden diese Investitionen nicht statt, kommen nicht nur Budgets unter Druck, sondern Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, weil sich der Zorn der Zurückgelassenen entladen wird, auch auf der Straße.

6.   Investitionen in Soziales, Gesundheit oder Pflege gefährden deshalb nicht die Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsstaaten oder der Europäischen Union, sie sind ein Garant für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit!

7.   Alle kennen die Aussage: „It’s the economy, stupid“. In Zukunft werden wir sagen: „It’s social protection, stupid!“

 

 

Wenn wir über Sozialpolitik reden, über das soziale Netz, dann geht es in erster Linie um Menschen. Um Schicksale. Um den Wunsch jeder einzelnen Person, teilhaben zu können am Leben, an dem, was wir Gesellschaft nennen. Um die Chance auf Aufstieg durch Bildung. Um den Wunsch aller Eltern, dass die Kinder es mindestens gleich gut haben sollen in ihrem Leben wie sie selbst - oder eben besser!

Es ist dieses europäische Modell des Sozialstaats, das unsere Gesellschaft prägt, das sozialen Frieden bringt und auf dem auch unser Wohlstand basiert. Es ist das Gegenmodell zum neoliberalen „Hilf-dir-Selbst-Darwinismus“.

Unser Sozialstaat gibt den Menschen Sicherheit und Hoffnung auf Aufstieg, auf eine bessere Zukunft. In der Krise - den Krisen - haben wir gesehen: Der Sozialstaat trägt!

 

Eine Alleinerzieherin mit zwei Kindern, die 1000 Euro brutto verdient, hat seit Beginn der Krise mindestens 5000 Euro zusätzlich erhalten. Für diese Familie ist das enorm viel Geld. Geld, das auch angekommen ist.

 

Diese Alleinerzieherin hat profitiert

 

-       von den Direktzahlungen, die an Empfänger:innen von Sozialhilfe, Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Mindestpensionist:innen gingen

-       Aus dem Paket gegen Kinderarmut erhält sie 60 Euro pro Kind und Monat.

-       Sie hat von Stromkostenbremse, Energiekostenausgleich, der Senkung von Elektrizitäts- und Erdgasabgaben profitiert, mit denen wir die Energiekosten gesenkt haben.

-       Wohnbeihilfe und Heizkostenzuschuss haben sich erhöht, weil wir den Ländern 700 Millionen Euro zur Verfügung gestellt haben.

-       Der Wohnschirm hat ihr geholfen, wenn dennoch Rückstände bei Mieten oder Energiekosten entstanden sind.

 

-       Die Valorisierung aller Familien- und Sozialleistungen ist natürlich auch dieser Alleinerzieherin zugute gekommen - eine Maßnahme, für die Sozialminister vor mir über Jahrzehnte gekämpft haben. Nur deshalb ist jede einzelne Sozialleistung in den letzten zwei Jahren um 20 Prozent erhöht worden.

 

Alles das waren politische Kraftakte, wie Sie sich unschwer vorstellen können, die dem Koalitionspartner mühsam abgerungen werden mussten.

 

 

[Soziale Investitionen]

In einer Krise geht es darum, rasch zu helfen. Genau das haben wir getan. Mit unseren Maßnahmen konnten wir die hohe Inflation für das untere Einkommensdrittel zumindest kompensieren. Die Zahl armutsgefährdeter Menschen ist weitgehend stabil geblieben.

 

Nun müssen wir den nächsten Schritt machen: strukturelle Maßnahmen, die Armut beseitigen, Menschen fördern, der Wirtschaft dringend benötigte Fachkräfte bringen.

Wir dürfen uns dabei keine Illusionen machen: In den kommenden Jahren werden die Budgetmittel deutlich knapper werden. Wir werden auch eine gesellschaftliche Debatte darüber zu führen haben, wofür wir das vorhandene Geld investieren.

An dieser Stelle treffen sich meine drei beruflichen Ich’s: Banker, Sozialarbeiter und Sozialminister. Denn Investitionen in Soziales, Gesundheit und Pflege rechnen sich. Sie bringen einen „Return on Investment.“

-       Jemanden vor der Delogierung zu bewahren, ist viel günstiger, als ihn in einer Obdachloseneinrichtung oder einer Notwohnung zu betreuen.

-       Jemanden im Alter möglichst lange selbstständig zu erhalten, ist viel günstiger, als ihn in einem Pflegeheim zu pflegen.

-       Menschen mit Behinderungen zu einem selbstbestimmten Leben zu verhelfen, ist viel günstiger, als institutionalisierte Betreuungseinrichtungen zu bezahlen

Kinder vor Armut zu bewahren, ist viel günstiger, als die Folgekosten aufgrund schlechter Bildung und schlechterer Gesundheit im weiteren Leben zu bezahlen. Das hat uns die OECD im vergangenen Herbst in einer Studie vorgerechnet: Die Folgen von Kinderarmut kosten uns jährlich (!) 17,2 Milliarden Euro – in Österreich! Jährlich! Die Investitionen, um Kinderarmut zu verhindern, kosten lediglich einen Bruchteil davon.

Wir sehen also: Soziale Investitionen sind Investitionen in die Zukunft von Menschen. Sie sind aber auch Investitionen in den sozialen Frieden, in den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und in die Demokratie. Sie sind die Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg und Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft. Das gilt für Österreich, das gilt für Europa, das gilt global.

 

 

 Was brauchen wir?

 

1.    Kindergrundsicherung

Familienbeihilfe, Familienbonus Plus, Alleinerzieherabsetzbetrag, Kinderabsetzbetrag, … die Leistungen für Kinder sind fast unüberschaubar. Trotzdem sind Alleinerzieherinnen und Familien mit Kindern weiterhin besonders von Armut betroffen.

Wir brauchen: eine Grundsicherung für Kinder, die sicherstellt, dass alle Kinder in Österreich die gleichen Chancen haben, unabhängig von ihrer Herkunft oder der finanziellen Situation der Eltern. Dafür gibt es bereits mehrere Modelle: Volkshilfe, Arbeiterkammer, und andere haben hier wertvolle Vorarbeit geleistet. Die einen setzen mehr auf Geldleistungen, die anderen auf Sachleistungen. Ein kluges Modell muss beides vereinen.

-       Es muss die vorhandenen, komplizierten und oft schwer zugänglichen Zahlungen und Leistungen zusammenfassen. Die Auszahlung erfolgt automatisch und jeden Monat an die Eltern.

-       Es muss die finanzielle Grundsicherung für Kinder raus aus der Sozialhilfe-Ecke! – Widerliche „Hängematten“- und Sozialneiddebatten dürfen nicht länger auf dem Rücken von Kindern ausgetragen werden

-       Es muss aber auch Sachleistungen sicherstellen: eine warme Mahlzeit pro Tag für jedes Kind, leistbare Kinderbetreuung, kostenloser Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung und vieles mehr.

 

2.    Mindestsicherung neu

Die Abschaffung der Mindestsicherung war der sozialpolitische Sündenfall der türkis-blauen Vorgängerregierung. Statt Mindestleistungen wurden Höchstgrenzen vorgeschrieben. Die Spielräume für die Länder wurden massiv eingeengt. Und man muss sagen: Vor allem die schwarz-blau regierten Länder nützen nicht einmal diese Spielräume.

 

Das hat Folgen: 250.000 Menschen in Österreich hatten in den letzten 3 Monaten manchmal Hunger. 500.000 Menschen geben an, dass sie ihre Wohnung nicht angemessen warmhalten können. Türkis-blau haben dieses Auffangnetz demoliert und sind dafür verantwortlich.

 

 

Nun müssen wir zurück zu einer Mindestsicherung, die ihren Namen verdient, und zu einer 15a-Vereinbarung mit den Ländern mit stärkerer Integration ins AMS und seine Leistungen bei gleichzeitigem Ausbau der Beratungs-, Betreuungs- und Bildungsangebots. Es kann und darf nicht sein, dass es davon abhängt, in welchem Bundesland man lebt, wieviel man zum Überleben bekommt. Wir müssen alle Menschen absichern, die es brauchen. Das bedeutet: Auch Vertriebene aus der Ukraine und subsidiär Schutzberechtigte müssen Anspruch auf diese “Mindestsicherung neu” haben.

 

 

3.    Leistbares Wohnen

Wohnen ist ein Grundrecht, Spekulation nicht! Deshalb dürfen Mieten und Betriebskosten nicht die Hälfte und mehr des Einkommens auffressen. Wir benötigen ein dauerhaftes öffentliches Wohnprogramm:

-       30.000 gemeinnützige Wohnungen mit garantierter Mietobergrenze in den nächsten fünf Jahren

-       20.000 Sanierungen von gemeinnützigen Wohnungen, damit Heizen nicht zur Kostenfalle wird

-       Umsetzung der Leerstandsabgabe in den Bundesländern, damit leerstehende Wohnungen verfügbar werden

-       ein Mietpreisdeckel für alle Mieten, der davor schützt, in Not zu geraten.

Wer bei Mieten oder Strom-/Heizkosten in Rückstand gerät, dem wird mit dem Wohnschirm geholfen. Wir haben damit schon über 80.000 Menschen in Österreich geholfen! Eine große Mehrheit davon betrifft Haushalte, in denen minderjährige Kinder leben.

Den Wohnschirm müssen wir dauerhaft aufspannen, housing first dauerhaft absichern. Das müssen wir mit 100 Millionen Euro pro Jahr ausreichend finanzieren. Weil es billiger ist, Wohnungsverlust zu vermeiden, als die Folgekosten zu finanzieren!

 

Wie bekommen wir all das?

Allianzen bilden!

Fast am Ende angekommen, möchte ich eine Lanze brechen für die Bildung von Allianzen. Sozialarbeiter:innen müssen sich für den Berufsstand engagieren, um den Berufsstand stärker zu machen. Sozialarbeit muss sich zusammentun mit anderen Sozial- und Gesundheitsberufen. Projekte, Institutionen, Träger müssen mit anderen kooperieren und lobbyieren – gemeinsam, mit Wucht, mit Energie. Das gesamte Feld der sozialen Arbeit, der Gesundheit, der Pflege und Betreuung, die Gesundheits- und Sozialwirtschaft im besten Sinn des Wortes muss klar machen: it’s social protection, stupid! Ohne uns geht es nicht und wenn ihr uns kaputtspart, gehen Gesellschaft und Gemeinsinn kaputt und dann die Wirtschaft und dann die Demokratie – und das ist keine leere Drohung, sondern kann an vielen Orten der Welt bereits beobachtet werden!

Das klarzumachen, dafür zu streiten, dafür braucht es mehr Kooperation, mehr Engagement und, ja, die Bereitschaft zu kämpfen!

 

 

Last not least: Europa

Ich hatte das Privileg, in den letzten drei Jahren, bei den Räten der europäischen Sozial- und Gesundheitsminister:innen dabei sein zu dürfen. Dort spürt man mehr als deutlich, was „Rechtsruck“ und extreme Rechte in Regierungen bedeutet: Schweden und Finnland, auch Italien, waren immer mit dabei, wenn es darum ging, für Soziales, Gesundheit und Pflege eine Lanze zu brechen. Das ist vorbei. Und das wird in den Wortmeldungen auch deutlich so vorgetragen!

Ich halte es allerdings für fatal, und damit möchte ich schließen, in Resignation, Fatalismus oder Zynismus zu verfallen, ganz nach dem Motto: kann man nix machen, sollen sie halt regieren, die Leute werden dann schon sehen.

Nein, sollen sie nicht! Ich habe mein gesamtes berufliches und politisches Leben lang für jene gekämpft, die an den Rand gedrängt wurden, abgehängt, vergessen, marginalisiert.

Ich bin überzeugt davon, dass bei allen Mängeln, die sie hat, die Europäische Union die einzig tragfähige Plattform ist, auf der wir die Zukunft aufbauen können. Eine Festung Österreich und ein Rückfall in die Kleinstaaterei ist es nicht. Auch nicht das bizarre provinzielle Gehabe mancher Landeshauptleute, die alles Böse in Wien oder Brüssel verorten und den Leuten vorgaukeln, das heimatliche Biedermeier reiche aus, um in Zukunft bestehen zu können.

Ich bin überzeugt davon, dass es unsere verdammte Aufgabe ist, uns um jene zu kümmern, die mehr aus Verzweiflung, denn aus Überzeugung antidemokratische, autoritäre und antieuropäische Parteien wählen.

Ich bin überzeugt davon, dass das immer groteskere und obszönere Ungleichgewicht zwischen Einkommen, die stagnieren, und Vermögen, die ins Unendliche wachsen, in eine angemessene Balance gebracht werden muss.

Sich um die Nöte der Menschen zu kümmern, heißt auch: den Sozialstaat stärken. Hilfe für alle, die sie wirklich brauchen! Ein soziales Netz für die Menschen, denen es nicht gut geht.

Weil über allem steht:


Nur ein sozialer Staat bleibt demokratisch!

 

 

 



 

 

Verwendete Quellen, Literatur:

 

 

 

 

 

 

Ivan Krastev / Europadämmerung – Ein Essay

Edition Suhrkamp

 

Eva Illouz / Explosive Moderne

Suhrkamp

 

Georg Diez /Kipp-Punkte

Von den Versprechen der Neunziger zu den Krisen der Gegenwart / Aufbau-Verlag

 

Byun Chul Han / Infokratie, Digitalisierung und die Krise der Demokratie

Matthes & Seitz

 

Ivan Krastev / Stephen Holmes / Das Licht, das erlosch

Ullstein

 

 

 

 

 

 


 

 


 
 
 

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