top of page
hintergrund%202%20Kopie_edited.jpg
"Es gibt Krisenzeiten, in denen nur das Utopische realistisch ist."
(George Steiner)

Zum zweiten Mal werden mit 1. Jänner 2024 sämtliche Familien- und Sozialleistungen erhöht, automatisch, ohne Wenn und Aber. Gerade in Zeiten hoher Inflation ist das von unschätzbarem Wert. Sie hat bis weit in den Mittelstand hinein Ängste vor dem sozialen Abstieg ausgelöst. Besonders Familien mit geringen Einkommen erhalten ab dem kommenden Jahr teils mehrere hundert Euro zusätzlich. ****


9,7 Prozent - das ist der Anpassungsfaktor für alle Familien- und Sozialleistungen für das Jahr 2024. Er steht seit heute fest, nachdem Statistik Austria die Inflation für den Juli bekannt gegeben hat. “Valorisierung der Sozialleistungen” heißt diese automatische Erhöhung im Politiksprech. Auch Pensionen und Sozialhilfe werden grundsätzlich um diesen Prozentsatz erhöht - nur wird da die tatsächliche Erhöhung vom Nationalrat meist noch angepasst. Die Gespräche dazu finden ab September statt.


Österreich hatte bis vor wenigen Monaten eine Inflation von 10 Prozent, spürbar bei jedem Einkauf an der Supermarktkasse. Viele Familien sorgen sich, ob sie Miete, Einkauf, Energiekosten und fällige Ratenzahlungen noch hinbekommen. Mehr noch: Zehntausende Familien müssen am Monatsende überlegen, ob sie sich eine warme Mahlzeit leisten können. Urlaub und besondere Ausgaben stehen oft gar nicht mehr zur Debatte.


Stellen Sie sich vor, welche Diskussion ohne automatische Valorisierung nun losbrechen würde: “Sollen sie was arbeiten gehen!” rufen die einen. “Der Sozialstaat kostet uns Milliarden! In Zeiten der Teuerung können wir uns das nicht leisten!” Die Gegenstimmen sind mindestens so laut: “In einem reichen Land wie Österreich müssen Familien im Sozialmarkt einkaufen, damit sie nicht hungern. Was für eine Schande!”


Genau so war das bis vor eineinhalb Jahren. Sozialleistungen wurden nur sporadisch erhöht: die Familienbeihilfe dreimal in den letzten zehn Jahren, Studienbeihilfe und Schülerbeihilfe sogar nur ein einziges Mal in zehn Jahren. Jeder Erhöhung ging eine Debatte voraus, ob Leistung A oder B nun erhöht werden soll - und wenn ja, um wieviel. Der Sozialminister machte Druck, der Finanzminister bremste, die Opposition protestierte lautstark.


Seit 1. Jänner 2023 erfolgt die “Valorisierung der Sozialleistungen” automatisch, am 1. Jänner 2024 also zum zweiten Mal. Diesmal werden es 9,7 Prozent sein, ohne dass es dazu noch einen Beschluss braucht. Ein Meilenstein, um den viele Sozialminister:innen Jahrzehnte vergeblich gekämpft haben.


Für armutsgefährdete Familien kommen bis Ende 2024 noch 60 Euro pro Kind und Monat dazu: Diesen Betrag erhalten alle Bezieher:innen von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Sozialhilfe und Ausgleichszulage sowie Alleinverdiener:innen mit einem Monatseinkommen bis 2000 Euro brutto.


Eine Alleinverdienerin mit Kind - Kassierin im Supermarkt, 900 Euro netto pro Monat, Aufstockung durch die Sozialhilfe - profitiert so mit rund 130 Euro pro Monat. Eine Familie mit geringem Einkommen und drei Kindern - 1600 Euro netto pro Monat - erhält knapp 400 Euro pro Monat mehr.


Sozial- und Familienleistungen haben in den Krisen der vergangenen Jahre sichergestellt, dass die meisten Menschen in Österreich ihren Lebensstandard halten konnten. Trotz Coronakrise und der höchsten Inflation seit sieben Jahrzehnten ist die Armut nicht gewachsen. Auch die Armutsgefährdung ist weitgehend stabil geblieben (Armut - Statistik Austria).


In Krisen zeigt sich der Zusammenhalt einer Gesellschaft. Das ist die gute Nachricht: Der Sozialstaat trägt.




Familien- und Sozialleistungen steigen um 9,7 Prozent:


- Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag und Mehrkindzuschlag

- Kinderbetreuungsgeld und Familienzeitbonus

- Kranken-, Rehabilitations- und Wiedereingliederungsgeld, Umschulungsgeld

- Studienbeihilfe und Schülerbeihilfe



“Paket gegen Kinderarmut”:


60 Euro pro Kind und Monat für befristet bis Ende 2024


- alle Bezieher:innen von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Sozialhilfe und Ausgleichszulage

- Alleinverdiener:innen mit einem Monatseinkommen bis 2000 Euro brutto

 
  • Johannes Rauch
  • 31. Mai 2023

Ein unfertiges, aber sogar ziemlich leiwandes Projekt.


Bevor Österreich der Europäischen Union beigetreten ist, fand dazu eine Volksabstimmung statt: im Juni 1994 sprachen sich 66,6% der Stimmberechtigten, bei einer Beteiligung von 82,3% für den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union aus.


Damit wurde nach einer emotionalen und auch sehr kontroversiellen Debatte eine klare Entscheidung getroffen, die auch demokratisch akzeptiert wurde, jedenfalls von den meisten: Der Souverän hat gesprochen!


Nun gab und gibt es an der Europäischen Union einiges zu kritisieren: an der Bürokratie und der oft schwierigen Entscheidungsfindung; an der asymmetrischen Machtverteilung (checks and balances) zwischen Rat, Kommission und Europäischem Parlament; am gescheiterten Versuch, eine europäische Verfassung zustande zu bekommen; an der Ungleichzeitigkeit von „Erweiterung“ und „Vertiefung“.


Die fehlende gemeinsame Außenpolitik. Das Machtgefälle zwischen der lange dominierenden deutsch-französischen Achse gegenüber den kleineren Mitgliedsstaaten. Der intensive Lobbyismus in Brüssel. Ja, und auch das Übergewicht der Waren-, Personen- und Niederlassungsfreiheit, der Währungsunion gegenüber einer gemeinsamen arbeits- und sozialpolitischen Agenda. Um all das wird auch weiterhin gestritten werden und zwar aus guten Gründen und mit Recht. Geschenkt.


Dennoch werden jetzt, im Jahr 2023, die geopolitischen Karten komplett neu gemischt. Nach einer dramatischen Pandemie und einem schrecklichen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, einer einschneidenden Energiekrise und mitten in der immer spürbareren Klimakrise wird glasklar: Ohne Europäische Union und mit einem Rückfall in die Kleinstaaterei werden wir den Kampf gegen jede dieser Krisen verlieren, und zwar auf rasante Art und Weise.


Österreich ist auf die europäische Solidarität angewiesen und trägt sie deshalb auch uneingeschränkt mit. Das gilt für die Sanktionspolitik gegenüber Russland und für die humanitäre Unterstützung der Ukraine genauso wie für den Wiederaufbau nach der Covid-19-Pandemie durch EU-Anleihen. Das gilt auch für eine gemeinsame Pharmapolitik mit Medikamentenproduktion, Bevorratung und Einkauf, um Preise zu erzielen, die nicht zu einer völligen Überdehnung der Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungssysteme aller Mitgliedsstaaten führen.


Wir brauchen die europäische Solidarität beim Umstieg auf erneuerbare Energien, bei der notwendigen „green and just Transition“. Wir brauchen sie bei der Bekämpfung von grenzüberschreitender Kriminalität und von systematischen Angriffen gegen die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU und bei einer gemeinsamen europäischen – ja, auch militärischen – Verteidigungspolitik.


Wenn wir dieses Mindestmaß an europäischer Solidarität verlieren, verlieren wir alles: Eigenständigkeit, Freizügigkeit, Zukunftsfähigkeit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, und die Fähigkeit, als ernsthafter Partner auf der weltpolitischen Bühne überhaupt wahrgenommen zu werden. Um die Dimension klar zu machen: 1970 stellte Europa 18 % der Weltbevölkerung. 2030 werden es 8,6 % sein.


Um es konkret zu machen: Wir verlieren auch die Möglichkeit auf Erasmus und unkompliziert im Ausland leben und arbeiten zu können, wir verlieren kostenloses Roaming und den Euro als gemeinsame Währung.


Die EU ist sicher nicht das “aggressivste außenpolitische militärische Bündnis, das es je gegeben hat”. Sie ist, ganz im Gegenteil, sogar ziemlich leiwand.

 

Die Corona-Pandemie hat die Menschen schwer belastet, die hohe Inflation hat das noch verstärkt. Viele Menschen fühlen sich abgehängt, vom Staat nicht mehr vertreten. Drei Jahre nach Beginn der Pandemie wird es Zeit für ein neues Miteinander. Wir müssen ernsthaft reden, wie wir unser Land gemeinsam gestalten. Dafür starten wir einen Dialogprozess.


Sabine ist 27 und richtig sauer. Mit ihrem Sohn Jakob lebt sie in einer kleinen Mietwohnung in Niederösterreich. Sabine ist sauer wegen der Mieterhöhung, der Nachzahlung beim Strom, auch wegen der fehlenden Kinderbetreuung. Aber vor allem ist sie sauer wegen Corona. Eine Zeit lang, sagt sie, habe sie die Maßnahmen verstanden und mitgetragen … aber dann: „Ihr habt uns erst eingesperrt und dann verarscht“, sagt sie.


Ich bin Sabine Anfang dieses Jahres bei meinem Besuch in einem Sozialmarkt begegnet. Sie hat ihren Frust abgelassen, ich als Gesundheitsminister kam ihr da gerade recht.


Sabine ist nicht allein. Nur mehr ein Drittel der Menschen findet, dass das politische System in Österreich gut funktioniert. Das Vertrauen in die Bundesregierung und das Parlament ist ähnlich gering. Drei Viertel finden, dass „die Politik Menschen wie mich oft als Menschen zweiter Klasse behandelt“. (Quelle: Sora Demokratiemonitor, www.demokratiemonitor.at)


Auch die Belege für Postenschacher und Korruption in den Chats nach Ibiza zeigen Wirkung. Der Frust entlädt sich bei Wahlen, mit hohen Stimmenanteilen für die angeblichen Protestpartei FPÖ, die ihr Korruptionspotenzial bei den vergangenen Regierungsbeteiligungen hinlänglich unter Beweis gestellt hat.


Das alles geht in Österreich, einem der reichsten Länder der Erde, an die Substanz der Demokratie. Ein Jahr nach dem Überfall russischer Truppen in der Ukraine, drei Jahre nach dem Beginn der Corona-Pandemie: Es ist Zeit für einen Neustart.


Krieg, Energiekrise, Teuerung, Klimakrise: All das hat Spuren hinterlassen. Wir müssen darüber reden, wie wir GEMEINSAM dieses Land gestalten möchten.


Ein Besuch in Finnland vergangene Woche hat mich tief beeindruckt: „Finnland is a society based on trust“, hieß es dort. Dieses Vertrauen basiert auch auf Transparenz: eine Einsichtnahme in ALLE staatlichen, behördlichen Akte und Datenregister, inklusive Steuerakten (!) ist für jede:n möglich.


Ehrliche, offene Kommunikation ist die Grundlage für Vertrauen. Es ist unsere Aufgabe als Politiker:innen, dass dieses Vertrauen (wieder) entstehen kann. Ein Appell wird dafür nicht reichen. Was wir brauchen, ist ein breiter öffentlicher Diskurs unter Beteiligung möglichst vieler Menschen. Da geht es um die Möglichkeit, Dampf abzulassen, gehört zu werden, Zukunft zu gestalten.


Wenn wir nicht darüber reden, streiten, nachdenken, werden wir die Krisen mit ihren disruptiven Entwicklungen nicht überwinden.


Diese Kommunikation braucht Formate: keine Veranstaltung der „Großkopferten“ in einem schicken Kongresszentrum. Wir müssen dort hingehen, wo es weh getan hat und noch immer weh tut. Wir brauchen Bürg:innenbeteiligung in neuer Form. Einen Dialogprozess.


Dort, wo wir Mist gebaut haben, müssen wir es sagen.

Dort, wo die Wissenschaft zu Unrecht attackiert wurde, müssen wir für sie streiten.

Dort, wo manche den Eindruck haben, ungerecht behandelt worden zu sein, wir aber glauben, unser Bestes getan zu haben, müssen wir reden.


So kommen wir raus aus der Krise. So können Wunden heilen. So kann ein neues gemeinsames Ganzes entstehen.


Wir stehen an einer Zeitenwende. Unsere Demokratien, unsere Art und Weise, wie wir leben, als offene, als demokratische Gesellschaften, sehen sich Angriffen gegenüber. Algorithmen in sozialen Medien, Trollfarmen und Desinformation, gesteuert von Feinden der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wollen uns eine neue, konstruierte Wirklichkeit vormachen. Ihr Ziel: dass wir uns streiten, uns spalten, in die Haare bekommen, dass Risse durch unsere Familien, Vereine, Freundschaften gehen. Dass wir uns bekämpfen und auseinanderfallen. Dass wir einander hassen, anstatt danach trachten, uns gegenseitig in Frieden leben zu lassen, so, wie wir es, jede:r für sich, für uns entscheiden. Das kann und darf nicht sein.


Deshalb: Lasst uns ins Reden kommen! Um unserer Zukunft willen, um die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder willen.

 
Archiv

Abo-Formular

Bleiben Sie auf dem Laufenden

Vielen Dank!

KONTAKT

Johannes Rauch

c/o Bundesministerium für für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

Stubenring 1, 1010 Wien

johannes.rauch(a)sozialministerium.at

bottom of page