- johannes rauch
Erste Gedanken zum Bundesbudget 2022
Nicht wenige Menschen beantworten die Frage, was sie zum Erreichen der Glückseligkeit benötigen würden, lapidar mit: „Geld.“ So verständlich diese Antwort ist, sie greift doch viel zu kurz. Denn am Geld, das behaupte ich im Einklang mit den meisten Philosoph:innen, wäre uns relativ wenig gelegen, würde es nicht dazu dienen, uns Dinge zu verschaffen, die uns wertvoll erscheinen – oder, aus dem Blickwinkel der Gesellschaft gesprochen, Verhältnisse herzustellen, die uns dem Glück oder dem guten Leben für alle einen kleinen Schritt näher bringen. Geld ist also lediglich ein Mittel zum Zweck, aber niemals ein Zweck an sich, mögen die “Wolves of Wall Street” das auch anders sehen.
So betrachtet stellt das gestern präsentierte Bundesbudget 2022 mehr dar als bloß den unvermeidlichen Stehsatz von der „in Zahlen gegossenen Politik“ der Bundesregierung. Es reflektiert vielmehr den gesellschaftlichen Veränderungsanspruch, den, das behaupte ich, ohne rot zu werden, insbesondere die Grünen dem Regierungsprogramm 2020–2024 beigemischt haben. Denn die zentrale Frage, die wir uns vor dem Beginn der Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP stellten, lautete tatsächlich: „Wie bewegen wir uns auf das Ziel des guten Lebens für alle zu?“, wobei wir in das kleine Wörtchen „alle“ besonders auch die zukünftigen Generationen einschlossen.
Wie haben wir uns unter diesen Prämissen also geschlagen?
Die aktuellen innenpolitischen Turbulenzen gebieten es, die Analyse mit dem Justizressort zu beginnen. Justizministerin Alma Zadić hat den von ihrem Amtsvorgänger Clemens Jabloner prophezeiten „stillen Tod der Justiz“ schon im letzten Jahr verhindert. Bereits im Budget 2021 wurde das Justizbudget um 65 Millionen Euro erhöht, und nun steigen die Mittel ein weiteres Mal um 76,4 Millionen auf beinahe 1,9 Milliarden Euro. Rund 40 % dieser Anhebung fließen in den Personalbereich. Dadurch wurden die Staatsanwaltschaften in die Lage versetzt, zusätzliche Planstellen zu schaffen, um tatsächlich unabhängig und in angemessener Geschwindigkeit zu ermitteln. Ohne Alma Zadićs Beharrlichkeit in den Budgetverhandlungen wüssten wir heute mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht, welch abzulehnender Mittel sich Sebastian Kurz und eine Gruppe enger Vertrauter rund um den Ex-Kanzler bedienten, um an die Macht im Lande zu gelangen.
Doch auch jenseits der finanziellen Grundausstattung haben sich in dem – revolutionären Umtrieben eher abgeneigten – Ressort erstaunliche Dinge ereignet: Ein von den Grünen geführtes Justizministerium hat die Drei-Tage-Berichtspflicht abgeschafft, der zufolge Staatsanwaltschaften die jeweils zuständige Oberstaatsanwaltschaft drei Tage im Vorhinein von „bedeutenden Verfahrensschritten“ zu informieren hatten. Diese Praxis führte vermutlich in der Vergangenheit immer wieder dazu, dass Beschuldigte vorab von geplanten Hausdurchsuchungen und anderen Ermittlungsmaßnahmen erfuhren. Und der vormals beinahe allmächtige Sektionschef Christian Pilnacek wurde nicht nur suspendiert, er blieb es auch.
Ein Plus von 250 Prozent!
Wenden wir uns der Umwelt und dem Klimaschutz zu.

Ich denke, diese kleine Grafik ist recht aussagekräftig. Die Regierung erhöht das Klima- und Umweltbudget um nicht weniger als 252,6 Prozent oder 1,7 Milliarden Euro.
Das ist beinahe eine Vervierfachung, und man müsste vermutlich ziemlich lange in den Budgets der letzten Jahrzehnte suchen, um eine ähnlich substanzielle Anhebung in anderen Ressorts zu finden. Was hier geschieht, ist nichts weniger als gewaltig, auch wenn ein großer Teil dieser Summe in den Klimabonus fließt. Die Umweltförderung im Inland wurde um 116 Millionen auf knapp 421 Millionen Euro erhöht, das Kreislaufwirtschaftspaket ist mit 100 Millionen Euro, das Programm „Klimafitte Ortskerne“ mit über 11 Millionen Euro dotiert.
Bis 2025 sollen 735 Millionen Euro ausgeschüttet werden, um Anreize zum ökologisch bedenkenfreien Heizen zu schaffen und die Industrie dazu anzuhalten, die Produktion zu dekarbonisieren, und der Klimabonus schlägt bis zum Ende der Legislaturperiode gar mit insgesamt 5,5 Milliarden Euro zu Buche.
Auf der Ebene der Mobilität ist uns immerhin eine Aufstockung um 200 Millionen Euro (von rund 4,6 Milliarden auf rund 4,8 Milliarden Euro) gelungen. Es ist vorgesehen, bis 2025 430 Millionen Euro in das Klimaticket Regional, 680 Millionen Euro in die Förderung emissionsfreier Mobilität und geradezu unglaubliche 80 Millionen Euro in den Ausbau der Radinfrastruktur zu investieren. Den Vorgängerregierungen war der Radverkehr kaum eine Budgetzeile wert. Auch dieser Bereich zeigt, wie intensiv wir uns darum bemühen, neue Pflöcke in die Haushaltsplanungen zu treiben.
Über die Effekte, die die vor wenigen Tagen präsentierte ökologisch-soziale Steuerreform auslöst, habe ich bereits an anderer Stelle geschrieben. Ich möchte nur nicht unerwähnt lassen, dass dieses Vorhaben – in den Worten des Finanzministeriums, an denen zu zweifeln ich keine Veranlassung sehe – die größte Entlastung für Österreichs Steuerzahler:innen in der Geschichte der Zweiten Republik bedeutet.

In den Konzert- und Theatersälen, in den Galerien, Museen und Ausstellungshäusern des Landes ist längst nicht alles wieder gut. Das ist, denke ich, allen Menschen klar, die sich jemals mit den Lebensrealitäten von Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen beschäftigt haben. Deren Situation war schon vor der Pandemie prekär und hat sich während der Lockdowns ein weiteres Mal verschärft. Insofern ist es nur folgerichtig, dass die Regierung die Mittel in Höhe von 60 Millionen Euro, die sie 2021 für Covid-19-Hilfen im Kulturbereich bereitgestellt hatte, nun im Kulturbudget 2022 fest verankert. Davon profitieren nicht nur die Bundestheater und Bundesmuseen, sondern in einem vergleichsweise hohen Ausmaß auch jene Fördernehmer:innen, die wir gemeinhin als „freie Szene“ bezeichnen. Das Kulturbudget beträgt im Jahr 2022 557,1 Millionen Euro. Bevor die Grünen dieses Ressort übernahmen, waren es 466 Millionen Euro. Nur falls demnächst wieder einmal aufgebrachte Kabarettist:innen über die angebliche Kulturvergessenheit der Grünen schwadronieren sollten.
Es stimmt, die Pflegereform lässt noch ein wenig auf sich warten. Doch ich weiß, dass im Gesundheitsministerium mit Hochdruck an diesem hochemotionalen, hochkomplexen, enorm kostspieligen und höchst dringlichen Thema gearbeitet wird, und bin voller Zuversicht, dass Minister Mückstein in naher Zukunft ein ausgewogenes Paket präsentiert, das taugliche Werkzeuge enthält, um den gewaltigen Herausforderungen zu begegnen, die im Bereich Pflege und Altenbetreuung auf uns warten. Kleine bis mittelgroße Zwischenerfolge lassen sich immerhin berichten: 2022–2024 stellt die Regierung 150 Millionen Euro für die Ausbildung zusätzlicher Pflegekräfte und 50 Millionen Euro für die Ausbildung von sogenannten Community Nurses bereit.
Darüber hinaus hat die Regierung die Mittel für Gewalt- und Extremismusprävention sowie für Delogierungsprävention und Wohnungssicherung erhöht. Die Grünen haben erfolgreich darauf gedrängt, den freiwilligen Kernbetrag für die UNHCR-Flüchtlingshilfe zu vervierfachen und 1,1 Millionen Euro für die Errichtung eines SOS-Kinderdorfes auf der griechischen Insel Lesbos zur Verfügung zu stellen. Das Budget für Frauen und Gleichstellung steigt um 5,5 Millionen auf 18,4 Millionen Euro und wird von zahlreichen Initiativen und Maßnahmen in anderen Ressorts (Gewaltschutz, Familienberatung, Kinderschutzzentren etc.) flankiert. Die Regierung erhöht rückwirkend die Schüler:innenbeihilfen für sozial Bedürftige. Sie will den Bezieher:innenkreis von rund 35.000 auf knapp 40.000 Personen erhöhen und dafür zusätzliche 11 Millionen Euro ausgeben. Wer aus all den nun aufgezählten Einzelmaßnahmen keinen gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch und keine Handschrift der Grünen erkennt, hat meines Erachtens nicht besonders gut hingeschaut.
Das Schlusswort möchte ich der Wirtschaftswissenschafterin Margit Schratzenstaller vom WIFO überlassen, die gestern im Ö1-Mittagsjournal das Budget analysiert hat. Sie erkennt „Akzente in Richtung Zukunft“, und zwar sowohl „bei den Abgaben als auch bei der Steuerstruktur“. Die ökologisch-soziale Steuerreform biete „Entlastungen für alle Schichten“, wobei sie vorrangig auf den Mittelstand ziele. Die deutlichsten Akzente „sehe ich beim Klimaschutz“, sagt Schratzenstaller und beurteilt es als positiv, dass die CO2-Bepreisung überhaupt kommt, wenngleich sie sich – wie ich – eine etwas ambitioniertere Preisgestaltung gewünscht hätte. Sie betont aber auch, dass gewaltige strukturelle Brocken – Pensionen, Pflege, Föderalismus, Gesundheitssystem, Schulverwaltung – noch vor uns liegen.
Dieser Einschätzung kann ich mich weitgehend anschließen. Und ich meine, wenn selbst eine so kritische Ökonomin wie Margit Schratzenstaller positive Worte für das Budget findet, dann haben wir das eine oder andere richtig gemacht. Es liegt an uns, das Ziel des guten Lebens für alle nie aus den Augen zu verlieren; in jedem Fall ist es eine starke Motivation fürs Drablieba.
PS vom 11.11.: Mittlerweile hat auch der Fiskalrat Austria eine Kurzeinschätzung zur Steuerreform abgegeben, die ich den Leserinnen und Lesern dieses Blogs nicht vorenthalten will. Kurzfassung der Kurzfassung: gar nicht schlecht. Hier das Original: Pressemitteilung des Fiskalrates vom 03.11.
Das Ibiza-Video, hinlänglich bekannt, hat 2019 in Österreich ein politisches Erdbeben ausgelöst und die türkis-blaue Regierung gesprengt. Der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache wurde untragbar, Sebastian Kurz höchstpersönlich zog die Reißleine.
Johannes Huber hat auf seinem blog https://diesubstanz.at/regierung/text-sebastian-kurz/ dankenswerterweise herausgearbeitet, was Kurz damals gesagt hat:
Im Sinne der Sacharbeit habe ich nicht bei der ersten Verfehlung die Zusammenarbeit beendet. Aber nach dem gestrigen (… Ereignis) muss ich sagen: Genug ist genug. Auch wenn die Methoden, die an Silberstein erinnern, verachtenswert sind: Der Inhalt ist, wie er ist. (…) Wirklich schwerwiegend sind die Ideen des Machtmissbrauchs und der Umgang mit dem Steuergeld und der Umgang mit der Presse.
Die FPÖ schadet mit ihrem Verhalten unseren Weg der Veränderung. Es ist ein Schaden für das Ansehen unseres Landes und es entspricht auch nicht meinem politischen Zugang, der Republik und den Menschen unseres Landes zu dienen. Vor allem aber habe ich in den Gesprächen mit der FPÖ heute nicht das Gefühl gehabt, dass (…) es eine wirkliche Bereitschaft gibt für eine tiefgreifende Veränderung auf allen Ebenen der Partei.
Jetzt ist Sebastian Kurz selbst mit Vorwürfen konfrontiert, die weit schwerer wiegen als alles, was Strache zur Last gelegt wurde. Kurz selber und die gesamte ÖVP versuchen jedoch, die Ermittlungen der WKSta als „konstruiert“, haltlos und falsch darzustellen. Kein Vergleich mit Ibiza, sozusagen. Und strafrechtlich sei sowieso nichts dran.
Strache hat mit den Äußerungen im Ibiza-Video kein strafrechtlich relevantes Faktum geschaffen. Trotzdem musste er gehen. Zu Recht. Weil es auch eine politische Verantwortung gibt, weil ein Vizekanzler der Republik Österreich mit der Last dieses Videos nicht mehr akzeptabel und nicht mehr handlungsfähig ist. Diesen Maßstab haben Sebastian Kurz und die ÖVP damals angelegt. Kurz selbst monierte insbesondere den „Umgang mit dem Steuergeld und den Umgang mit der Presse“.
Und nun soll dieser Maßstab nicht mehr gelten? Nun gilt für den Kanzler nicht, was für den Vizekanzler noch galt? Etwa weil es um die eigenen Taten geht? Bei einem durch unzählige Chatverläufe dokumentierten und von der Staatsanwaltschaft aufbereiteten Sachverhalt? Woher die Doppelzüngigkeit? Das Verhalten des Kanzlers und der ÖVP ist ethisch haltlos, faktisch absurd und politisch frivol. Man fühlt sich an die Dreistigkeiten des früheren israelischen Premiers Benjamin Netanjahu erinnert, der Korruptionsskandale am laufenden Band produzierte und schließlich von einer Regierungskoalition aus dem Amt gejagt wurde, deren einziger gemeinsamer Nenner die Ablehnung des Systems Netanjahu ist.
Nun, wir Grünen wollen die Maßstäbe, die Kurz bei Strache anlegte, auch beim Bundeskanzler angelegt wissen.
Strache hat im Ibiza-Video darüber schwadroniert, was er alles tun werde, wenn er erst an der Macht ist. Sebastian Kurz und sein engstes Umfeld gingen offenbar wesentlich weiter.
Es mögen sich bitte alle selber ein Bild machen, und das Dokument in seinen wesentlichen Teilen lesen. Sie finden es hier:
https://drive.google.com/file/d/1wKpAPo-L4nrVQ3piZKDZjZGbF9IRQ2X9/view.
Die Staatsanwaltschaft wirft Sebastian Kurz vor, er habe „das Verbrechen der Untreue nach § 153 Abs. 1 und 3 zweiter Fall StGB als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB und […] das Verbrechen der Bestechlichkeit nach § 304 Abs. 1 und 2 zweiter Fall als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB“ begangen.[1]Sie sieht Kurz als den Auftraggeber der korrupten Praktiken.[2]
„Sebastian KURZ ist die zentrale Person“, schreibt die WKSTA. Es „ist ersichtlich, dass er in allen wichtigen Belangen die Grundsatzentscheidungen trifft“. Wenn dann einmal „ein Problem dringend gelöst werden muss, bringt er sich unmittelbar […] selbst ein“ – etwa im März 2016, als es darum ging, der zögernden Sophie Karmasin das Projekt schmackhaft zu machen. Die „zentrale Rolle von Sebastian Kurz an den Tathandlungen“ ist für die Staatsanwaltschaft „deutlich ersichtlich“. „Dass bei der deutlich ersichtlichen streng hierarchischen Struktur der Gruppe ein derart komplexer Tatplan von den Mitbeschuldigten ohne Wissen und Wollen des Begünstigten KURZ ausgearbeitet und umgesetzt wurde, kann hingegen ausgeschlossen werden.“[3]
Die Justiz – also zumindest die WKSTA und der Richter, der die Hausdurchsuchung genehmigte – hat also hinreichenden Verdacht anzunehmen, dass Sebastian Kurz und ein Netzwerk aus engen Vertrauten „Inserate- und Medienkooperationsvereinbarungen aus sachfremden und nicht im Interesse des BMF [Finanzministeriums, Anm.] gelegenen Gründen“ mit der Zeitung Österreich abschloss. Im Gegenzug veröffentlichte Österreich zwischen 2016 und 2018 mutmaßlich nicht nur die frisierten Umfragen, sondern auch Artikel und Kommentare, die nicht als Werbeeinschaltungen, sondern als redaktionelle Beiträge gekennzeichnet waren. Eine Gruppe um Sebastian Kurz kaufte bei Österreich Inserate und erhielt dafür nicht nur den Abdruck der Inserate, sondern auch „relevante Berichte, die zu vorgegebenen Zeitpunkten […] in Medien der Fellner-Gruppe“ erschienen.[4] Die inhaltlichen Vorgaben stammten laut WKSTA von Sebastian Kurz und seinen engsten Beratern Gerald Fleischmann, Johannes Frischmann und Stefan Steiner.
Im September 2016 setzte der mittlerweile als Chef der ÖBAG abgesetzte Thomas Schmid, damals Kabinettchef im Finanzministerium, Sebastian Kurz per SMS darüber in Kenntnis, dass „die gesamte Politikforschung im Österreich [gemeint ist die Zeitung, Anm.] nun zur [im Akt unkenntlich gemachten Agentur, die die frisierten Umfragen im Auftrag der Gruppe um Kurz produzierte, Anm.] wandern“ werde. „Damit haben wir Umfragen und Co im besprochenen Sinne :-))“ Sebastian Kurz war über diese Medienmanipulationen also informiert, schließt die Staatsanwaltschaft daraus.
Sebastian Kurz war mit der bestellten Berichterstattung offenbar zufrieden. „Danke für Österreich heute“, schrieb er am 08.01.2017 an Schmid, der antwortete: „Immer zu Deinen Diensten :-))“ In Österreich stand an diesem Tag zu lesen: „ÖVP im Umfrage-Keller“, und die vermeintlich unabhängige, tatsächlich jedoch in den Diensten der Gruppe um Kurz stehende Meinungsforscherin gab in einem Interview zu Protokoll: „VP würde von Kurz-Wechsel profitieren“.
So weit, so unappetitlich.
Doch die Staatsanwaltschaft geht weiters davon aus, dass die Abrechnung der im Auftrag der ÖVP erstellten Umfragen auf verdeckte Weise über das Finanzministerium erfolgte, wodurch der Republik ein beträchtlicher finanzieller Schaden entstanden sei, der sich noch gar nicht genau beziffern lässt, jedoch in Millionenhöhe angesiedelt sein dürfte.
Fazit
So wie Straches Ibiza-Video liefern die SMS-Chats aus Kurz’ engstem Beraterkreis ein verstörendes Sittenbild. Anders als Strache im Ibiza-Video steht Kurz unter Verdacht, an Verbrechen beteiligt gewesen zu sein. Das ist eine völlig andere Dimension als die Ermittlungen wegen des Vergehens der Falschaussage im U-Ausschuss, hinsichtlich deren ich Kurz vor einigen Monaten noch verteidigt habe. So wie Strache nach dem Ibiza-Video ist Kurz – trotz der Unschuldsvermutung gegen seine Person – nach der Hausdurchsuchung im Bundeskanzleramt eine politische Zumutung. So wie Strache nach dem Ibiza-Video sollte nun auch Kurz politisches Verantwortungsbewusstsein zeigen und die Konsequenzen ziehen.
[1] https://drive.google.com/file/d/1wKpAPo-L4nrVQ3piZKDZjZGbF9IRQ2X9/view, S. 8 f. [2] https://www.derstandard.at/story/2000130217983/vorwuerfe-gegen-kurz-und-sein-umfeld-gegen-wen-ermittelt-wird (08.10.2021). [3] https://drive.google.com/file/d/1wKpAPo-L4nrVQ3piZKDZjZGbF9IRQ2X9/view, S. 66 f. [4] https://drive.google.com/file/d/1wKpAPo-L4nrVQ3piZKDZjZGbF9IRQ2X9/view, S. 22.
- johannes rauch
Einige Gedanken zur Steuerreform
Jetzt haben wir es also getan. Binnen weniger Tage die rechte und die linke Herzkammer der Grünen Regierungsbeteiligung präsentiert: das Klimaticket und die ökosoziale Steuerreform.
Wir haben konkrete Pläne mit konkreten Zahlen und konkreten Auswirkungen vorgelegt, an denen wir uns nun messen lassen. Wir haben nicht, wie wir es in drei Jahrzehnten Opposition gelernt haben, die Regierung aufgefordert zu handeln, sondern wir haben gehandelt. Vor allem aber haben wir verhandelt, nämlich mit unserem Koalitionspartner.
Reden wir über die ökosoziale Steuerreform: Selbstverständlich lässt das Resultat viele Unzufriedene zurück. Wie könnte es auch anders sein!? Hier die Erwartung des ökologischen Paukenschlags, da die Betonung des sozialen Augenmaßes der Reformen, und dort die Hoffnung auf ökonomische Unbedenklichkeit der steuerlichen Eingriffe. Genauso wie Archimedes und viele Mathematiker:innen nach ihm wissen wir, dass die Quadratur des Kreises eine unmöglich zu lösende Aufgabe ist – doch wir haben uns bemüht, in der Formulierung unseres Reformvorhabens zumindest alle drei Perspektiven zu berücksichtigen und uns so einem Ergebnis anzunähern, das Akzente setzt, ohne den einen oder den anderen Standpunkt völlig zu vernachlässigen. Uns war dabei klar, dass der Jubel aus den einzelnen Ecken des riesigen Gemüsebeets, das wir da beackert haben, verhalten ausfallen würde.
Ein Preis für das Treibhausgas
Aber blicken wir doch ein bisschen näher hin. Ab dem 1. Juni nächsten Jahres wird eine Tonne CO2 30 Euro kosten, dann heben wir den Preis bis 2025 schrittweise auf 55 Euro an. An einer solchen Maßnahme wäre, mit Verlaub, jede Regierung der Zweiten Republik gescheitert, wenn sie sich denn überhaupt dafür interessiert hätte. Treibhausgas erhält nun endlich einen Preis. Jeder Beitrag zur globalen Erwärmung lässt sich nun in Euro ausdrücken – das ist eine epochale Errungenschaft, die in Österreich ihresgleichen sucht. Könnte der Preis nicht höher sein? Na klar; ich selbst habe mich für einen Betrag zwischen 50 und 120 Euro ausgesprochen. Aber ich kann die Position nachvollziehen, dass wir mit einem eher niedrigen Einstiegspreis den Haushalten und den Unternehmen die Möglichkeit einräumen, ihre Energieversorgung und ihre Produktionsprozesse innerhalb eines recht engen Zeitfensters an die neuen steuerlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Im Übrigen wird der CO2-Preis mit den Kursen auf den Energiemärkten korrespondieren. Sollte Energie aus welchen Gründen auch immer in nächster Zeit billiger werden, würde die CO2-Bepreisung erhöht.
Daraus folgt unter anderem, dass Benzin in Hinkunft um rund 6,6 Cent pro Liter, Diesel um rund 7,5 Cent pro Liter teurer wird.
Das sind schlechte Nachrichten für Menschen, die viel mit dem Auto unterwegs sind bzw. unterwegs sein müssen. Aus diesem Grund haben wir den sogenannten Klimabonus eingeführt, mit dem wir die Belastungen für Einzelpersonen und Familien, die durch die CO2-Bepreisung entstehen, dämpfen wollen. Und weil es nun einmal einen verkehrsrelevanten Unterschied macht, ob jemand im Zentrum von Dornbirn oder in Gargellen lebt, tritt zum Klimabonus der sogenannte Regionalausgleich hinzu, der, gestaffelt in drei Kategorien, an Menschen ausbezahlt wird, die abseits der urbanen Zentren wohnen. Damit wollen wir Pendler:innen unterstützen, die in Gegenden wohnen, die das öffentliche Verkehrsnetz bisher nur unzureichend erfasst, und die daher auf ihr Auto angewiesen sind. Ja, auch wohlbestallte Villenbesitzer:innen aus der Hinterbrühl bei Wien, die täglich mit ihren SUVs in ihre Wiener Innenstadtbüros fahren, erhalten den Regionalausgleich. Doch es wird ihnen nur dann etwas davon bleiben, wenn sie ihr Mobilitätsverhalten ändern. Tun sie das nicht, landet der Klimabonus im Tank.
Diese Unschärfe haben wir zugunsten der Übersichtlichkeit der Maßnahme in Kauf genommen. Außerdem sind wir mit dieser Reform ja nicht am Ende der Regierungsarbeit angekommen. Die Grünen arbeiten weiterhin mit Hochdruck daran, die soziale und ökologische Treffsicherheit der Pendlerpauschale zu erhöhen, wie es ja auch im Regierungsprogramm vereinbart wurde.
Klimaschädliches Heizen – das Ausstiegsszenario
Ja, Heizöl und Erdgas werden teurer, und zwar um rund 7,8 Cent pro Liter bzw. 6 Cent pro Kubikmeter. Das stellt, da müssen wir nichts schönreden, eine Zumutung für Mieter:innen dar, die keinen Einfluss darauf haben, welches Heizsystem der Vermieter:innen installiert hat. Rund ein Viertel der Haushalte in Österreich wird mit Erdgas, etwa ein Achtel mit Öl beheizt. Doch genau aus diesem Grund haben die Grünen Verhandler:innen so vehement darauf gedrängt, dass der Klimabonus tatsächlich an alle ausbezahlt wird, denn heizen muss jede und jeder. Außerdem sieht die Steuerreform in diesem Bereich eine Erhöhung der Förderung für den Ausstieg aus Öl und Gas vor: nicht weniger als 500 Millionen Euro sind für sauberes Heizen reserviert. Es ist daher nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern es dürfte auch rentabel werden, auf alternative Wärmeversorgung umzusteigen. Bis 2035 bzw. 2040 sollen Heizformen, die auf fossilen Energieträgern beruhen, ohnehin ihr natürliches Ende finden. Insofern sind Vermieter:innen gut beraten, schon jetzt, da die Regierung großzügige Förderungen zur Verfügung stellt, umzusteigen.
Wir erleben ja gerade, mit welcher Vehemenz Gazprom und Co. an der Preisschraube drehen, um Druck hinsichtlich der Umsetzung gewünschter Pipelineprojekte zu erzeugen und den Markt weiter zu monopolisieren. Angesichts dieser Zustände können wir nur zu dem Schluss gelangen, dass wir diese fatale energiepolitische Abhängigkeit schleunigst überwinden müssen.
Das „Sozial“ in „Ökosozial“
Wir sollten aber auch die finanziellen Leistungen nicht unerwähnt lassen, die insbesondere Geringverdiener:innen unterstützen sollen. Im Rahmen der ökosozialen Steuerreform wird der Kinderbonus für geringverdienende Alleinerzieher:innen und Familien erhöht, und Schritt für Schritt senken wir die Tarifstufen bei der Einkommensteuer, beginnend mit der zweiten Stufe, die Einkommen bis zu einer Höhe von rund 2.600 Euro im Monat umfasst. Außerdem hat die Regierung die Krankenversicherungsbeiträge von Menschen mit geringen Einkommen gesenkt, so dass diese Personengruppe mit bis zu 200 Euro pro Jahr entlastet wird; die entfallenden Einnahmen, das nur nebenbei, werden den Sozialversicherungen selbstverständlich ersetzt. Wir haben vehement dafür gestritten, dass die Menschen am untersten Ende der existenziellen Absicherung nicht von diesen Ausgleichszahlungen abgeschnitten werden.
Wird das genug sein? Vielleicht.
Ganz ehrlich, es fällt mir ein bisschen schwer, die ostentative Empörung der SPÖ ernst zu nehmen. Klar, es gehört zur Profilierung als Oppositionspartei, mehr oder weniger alles, was die Regierung beschließt, für unzulänglich, fehlerhaft, falsch, unausgegoren und defizitär zu halten. Geschenkt. Aber es sei mir doch der Hinweis erlaubt, dass die ehemalige Kanzlerpartei SPÖ auch in sozialpolitischer Hinsicht erst die Zustände herstellte, gegen die die jetzige Regierung – und, nennen wir das Kind beim Namen: hauptsächlich die Grünen – nun ansteuert. Sicher, eine Senkung der Krankenversicherungsbeiträge um, sagen wir, 2,5 oder 3,4 % hätte die Geringverdiener:innen noch stärker entlastet. Doch auf der anderen Seite der Gleichung steht nicht nur die Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems, sondern eine mit satter relativer Mehrheit ausgestattete ÖVP, die unsere Verhandler:innen erst einmal davon überzeugen mussten, dass Steuersenkungen allein ein untaugliches Rädchen sind, wenn es darum geht, jene Menschen zu entlasten, die ohnehin bereits unter existenziellen finanziellen Nöten leiden.
Und wie schon weiter oben gesagt, halte ich den nun beschlossenen CO2-Preis für zu niedrig. Aber der zentrale Punkt ist doch, dass wir das Spielfeld verändert haben. Treibhausgas hat nun einen Preis. Das Steuersystem erhält ein völlig neues Element, eine Schraube, an der, wie Andreas Koller in den Salzburger Nachrichten ganz richtig geschrieben hat, „künftige Regierungen und künftige Generationen drehen können, um im Wortsinne steuernd ins ökologische und klimatische Geschehen einzugreifen“.
Deshalb würde ich dem allgemeinen Aufstöhnen gern eine Prise Optimismus beimischen. Blicken wir kurz zurück. Vor der Nationalratswahl 2019 hätten wir uns auch mit sehr viel Phantasie kaum ausmalen können, was die Grünen binnen zweier Jahre auf den Weg bringen würden: das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, die Klimaneutralität ab 2040, das Klimaticket, und nun die ökosoziale Steuerreform. Der Klimaschutz hat sich zum stärksten Erzählstrang dieser Regierung entwickelt. Wer, Hand aufs Herz, hätte das im Sommer 2019 für möglich gehalten!? Das alles ist uns gelungen, während die Corona-Pandemie den Großteil unserer Aufmerksamkeit gefordert hat, und es ist noch nicht einmal der Halbzeitpfiff für diese Legislaturperiode ertönt.
Im Ernst, diese Zwischenbilanz erfüllt mich mit Zuversicht.